Wenn man mich fragt, wie ich dazu kam ein Online-Coaching anzubieten zu wollen, dann sind es wohl eine Vielzahl von kleinen Augenblicken, von Ereignissen und von Erfahrungen, die mich dazu
geführt haben. Ich denke aber, dass es in dieser Vielzahl auch einen Moment gab, der mich besonders geprägt hat…
Ich stand wieder mal im Schulzimmer vor einer tobenden Schülerin. Der Grund, warum sie schreiend und fuchtelnd vor mir stand war der, dass sie «keinen Bock auf Mathematik» hatte. Für die Anderen
rundherum war ein Arbeiten so natürlich auch nicht möglich. So versuchte ich herauszufinden, wie ich dieser Schülerin helfen könnte, was es brauchte, damit sie sich auf die Mathematik einlassen
könnte – oder auf ein alternatives Angebot. Irgendwie schien ich den richtigen Ansatz allerdings nicht zu treffen, denn statt sich auf ein Gespräch mit mir einzulassen oder sich zu beruhigen,
wandte sich diese Schülerin mir zu und liess ihren ganzen Frust und ihre Überforderung an mir aus. Die Schimpftirade werde ich nicht wiederholen – doch im Ganzen gab es viele Begriffe, die unter
der Gürtellinie waren. Beschimpfungen wie «Schlampe» liessen mich kalt – doch die «fette Kuh» traf mich unvorbereitet – da mein Übergewicht für mich selbst unangenehm war. Für einen Moment war es
so, als wäre die Situation in Zeitlupe. Vielleicht kennst du das ja in extremen Situationen auch…
Ich sah die anderen Schülerinnen und Schüler, die abgelenkt waren von dem Geschrei des Mädchens, sah sie toben und fühlte mich so, als hätte mir jemand in den Bauch geboxt. Mein Kopf fühlte sich
leer an, bis auf diese Worte, dieses «fette Kuh», das sich wie ein Echo dauernd wiederholte. Ich bin nahe am Wasser gebaut – aber mein Stolz und mein Kopf liessen nicht zu, dass die Tränen, die
gerne gekullert wären, an die Oberfläche kamen. Auf keinen Fall würde ich vor dieser Schülerin weinen – niemals!
Äusserlich blieb ich ruhig – in mir drinnen jedoch sah es ganz anders aus: Ich wollte diesem Mädchen doch bloss aus der Überforderung helfen – war nicht mal für die Mathematik zuständig – und
wurde dafür beschimpft. Ich fühlte diese bleierne Müdigkeit – dieses Gefühl, dass die dauernden «Kämpfe» einfach jetzt genug waren… Und die Trauer, dass jemand, mit dem ich respektvoll umging,
mich so verletzte. Mit sehr viel Kraft schaffte ich es, mein Pokerface aufrecht zu erhalten.
Als der Unterricht zu Ende war – Gott sei Dank hatte ich am Nachmittag frei – brach ich dann doch in Tränen aus. Es war nicht nur die Kränkung, die wehtat – sondern auch das Gefühl, dass unsere
Arbeit nichts brachte… Dieses Gefühl, dass wir immer nur am Kämpfen waren für eine besser Zukunft von SchülerInnen, für die wir am Schluss immer wieder als Sündenbock hinhalten durften. Ich
packte also meine Siebensachen und fuhr weinend nach Hause in den freien Nachmittag…
Kennst du das, wenn sich die Ereignisse ansammeln und ansammeln und dann ein einzelnes Wort, ein Moment, eine Erfahrung das Fass zum Überlaufen bringt?
So ging es mir: Es war, als hätte dieser Vormittag einen Damm eingerissen. Seit Jahren litt ich an Hautausschlägen, Verdauungsproblemen (Reizdarm), Müdigkeit und chronischen Muskelverspannungen –
und mir war stets bewusst, dass die Ursache im Stress meines Berufes zu finden war. Genauso wie die 25 Kilogramm, die ich zugenommen hatte, seit ich an der Sonderschule arbeitete… Allerdings war
ich immer der Meinung gewesen, dass meine Arbeit so «Nebenwirkungen» wert war. Ich meine, hey – unsere Schülerinnen und Schüler waren überall rausgeflogen, hatten so oft «versagt» und waren
unerwünscht gewesen – sie verdienten jemanden, der mit vollem Herz für und mit ihnen arbeitete – der sein Herzblut in die Arbeit steckte. Da waren ein bisschen psychosomatische Nebenwirkungen
doch keine so grosse Sache, oder?
Tja… An diesem Nachmittag entschied ich: Kein Beruf der Welt – und ist er noch so wichtig, ist die eigenen Gesundheit wert! Und in mir wuchs der Wunsch, mit Menschen zu arbeiten, die meine Hilfe
wollen, sie suchen, sie schätzen! Versteht mich nicht falsch: Viele unserer Schützlinge arbeiteten zumindest phasenweise sehr gerne mit mir – doch trotzdem war der «Zwangskontext» immer im
Hintergrund, denn keine/keiner war freiwillig bei uns an der Sonderschule.
So also entstand mein Wunsch, Menschen zu unterstützen, die mit mir arbeiten wollen. Wie wir Menschen aber so ticken, verlief diese Entscheidung im Sand. Denn oftmals ist für uns Menschen das
Bekannte einfacher zu ertragen – und sei es noch so anstrengend oder schlimm – als der Schritt ins Ungewisse. Bestimmt bist auch du schon in Situationen, Beziehungen, an Arbeitsplätzen geblieben,
obwohl du da nicht glücklich warst? Einfach nur, weil das grosse Unbekannte – und sei es noch so toll und wunderbar – viel furchteinflössender für uns ist als die aktuelle (zum Teil echt miese)
Situation…
Und so brauchte es den Corona-Lockdown im Frühling 2020, um mich definitiv durchzuschütteln und mir aufzuzeigen, wie schlecht meine Arbeit mittlerweile für meinen Körper war. In der Phase des
Homeschoolings hatte ich eine perfekte Verdauung, keinen Hautauschlag, null Heuschnupfen (obwohl voll Saison) und meine Schultern- und Nackenmuskulatur waren für meine Verhältnisse schon recht
entspannt. Zudem hatte ich so viel Energie, dass ich abends noch locker den Rasen mähen konnte – undenkbar in Schulzeiten! Dass ich etwas an Gewicht verlor war dann noch das Tüpfelchen auf dem i…
Und in diesem Moment, in dem die Welt in Aufregung verfiel und Menschen ihre Arbeit verloren, fühlte ich mich so gut wie nie. Da wurde mir klar: Es reicht! Ich MUSS etwas anderes finden, etwas
anderes arbeiten. Ich wusste zwar nicht was – aber es war klar, dass ich meine Arbeit an der Sonderschule aufgeben musste!